Reinheim hat ein massives Armutsproblem und die Politik tut nichts dagegen. Das ist die Kernaussage von Werner Bischoff, Vorsitzender der REGE, der auf Einladung des Reinheimer Kreises (RK) zum Thema „Armut in Reinheim“ referierte. Vor überraschend vielen Gästen des zweiten Bürgerdialogs des RK erläuterte er, dass in Reinheim rund 1.900 Bürgerinnen und Bürger als arm gelten müssen. Die doppelte Zahl von Menschen sei armutsgefährdet. Armut sei also längst kein Randthema mehr. Reinheim nehme mittlerweile sogar einen Spitzenplatz in Sachen Armut im Landkreis ein, was jeder täglich bei der Essensausgabe der Bieberauer Tafel besichtigen könne.
Besonders betroffen seien Kinder und alleinerziehende Mütter, Arbeitslose, Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen und leider wieder mehr Rentner. Bislang habe die Reinheimer Kommunalpolitik dieses Problem fast vollständig ignoriert.
Es sei falsch, wenn Bürgermeister Hartmann behaupte, in Reinheim gebe es keine sozialen Brennpunkte und es sei nicht Aufgabe der Stadt, sondern des Landkreises, arme Menschen zu unterstützen. Er könne allein zehn Wohnräume in Reinheim nennen, in denen vor allem sozial benachteiligte Menschen wohnen. Ein besonders schlechtes Beispiel sei ein städtisches Wohnhaus Obere Straße in Ueberau, in dem unhaltbare Zustände herrschten. Es sei zynisch, wenn Bürgermeister Hartmann die Ansicht vertrete, eine Sanierung lohne nicht, denn „diese Menschen“ würden ja doch alles nur kaputt machen.
Es sei auch völlig unverständlich, wenn Bürgermeister Hartmann die Kitagebühren anheben wolle. Das würde viele Familien überfordern und gerade arme Kinder von einem wichtigen Bildungsabschnitt ausschließen. Die Gebühren müssten vielmehr weiter gesenkt werden.
Fatal sei auch, dass die Zahl der Sozialwohnungen in Reinheim immer weiter abnehme. Heute hätten nur noch 702 Menschen darin Platz, was bei 1.500 bis 2.000 armen Menschen viel zu wenig sei. Viele verstünden auch gar nicht, welche Hilfen sie bekommen könnten, viele schämten sich dann, zum Amt zu gehen. Da sehe die REGE ihre Aufgabe: Über die rechtliche Situation informieren, rechtliche Beratung vermitteln und finanziell unterstützen, wenn der Mensch direkt am Abgrund steht.
Eine Folge der Verarmung dieser Menschen ist auch deren „Wahlmüdigkeit“, weil sie sagen, „egal, wer gewinnt, an unserer Lage ändert sich ja sowieso nichts“.
Bischoff forderte von der Reinheimer Kommunalpolitik, endlich zuzugeben, dass Reinheim ein massives soziales Problem hat, dieses Thema auch im Stadtparlament zu besprechen, einen Reinheimer Sozialbericht einzufordern, sich die Reinheimer Armutsgebiete aktiv anzuschauen, die menschenunwürdigen Sozialwohnungen in der Oberen Straße und im Teichweg endlich zu sanieren, die Betroffenen durch das Sozialamt stärker beraten zu lassen, die Kitagebühren weiter Richtung Null zu senken, den sozialen Wohnungsbau wieder zu beleben, eine eigene „Reinheimer Tafel“ einzurichten und am besten auch ein „Haus der Gelegenheiten“ zu schaffen, in dem Bürger Möbel abgeben könnten, die dann von armen Menschen billig erworben werden können. Damit könne dann auch den Flüchtlingen besser geholfen werden.
Bischoff erinnerte daran, dass die Zahl der Arbeitsplätze in Reinheim in den vergangenen Jahrzehnten stark abgenommen habe, weil viele Unternehmen weggefallen sind. Das bedeute höhere Arbeitslosigkeit und bringe Armut mit sich. Wobei zu bedenken sei, dass rund 50% der Hartz-IV-Bezieher Reinheims durchaus einer geregelten Arbeit nachgingen, die aber zu schlecht bezahlt sei, um leben zu können. Das wiederum führe dazu, dass es sich heute 15 bis 20% der Reinheimer Bürgerinnen und Bürger gar nicht mehr leisten könnten, in Reinheim einkaufen zu gehen. Das sei auch ein nicht zu unterschätzender Grund für die teilweise Umsatzschwäche des Reinheimer Einzelhandels.
In Reinheim wurde vor Jahren eine „Energieberatung“ für Hausbesitzer eingeführt, die von der Stadt und dem Kreis mitfinanziert wird, hier wäre eine „Sozialberatung“ für die „Nichthausbesitzer“ wünschenswert, der Reinheimer Kreis wird eine entsprechende Initiative prüfen.
13. März 2015
Für die Vielzahl von Bürgerinnen und Bürger die anwesend waren, war der Vortrag von Herrn Bischoff sehr beeindruckend. Es ist schade, dass die Allgemeinheit von den Problemen zu wenig erfährt. Der anwesende Bürgermeisterkandidat Pittich sprach an diesem Abend dazu deutliche Worte! Ein besonderes Lob an die Veranstalter, mit dem Reinheimer Kreis!